Jeder Versuch, die Northwest Territories zu beschreiben, bleibt bloss eine Ahnung dessen was Wirklichkeit ist.
Wie ein Pfeil gleitet die Cessna übers Wasser des Mackenzie Rivers hin bis zu dem Punkt, wo unser Pilot die Maschine sicher aus dem Wasser zieht. Was ich gestern per Fuss erkundet habe, geniesse ich jetzt aus der Vogelsperspektive – Fort Simpson – am Zusammenfluss der beiden mächtigen Liard und Mackenzie River gelegen und Ausgangspunkt für Ausflüge in den Nahanni Nationalpark und die Mackenzie Mountains (ein Hikkingparadies der Extraklasse). Zu Zeiten der Wasserwege ein wichtiger Ort – ist hier irgendeinmal die Zeit stehen geblieben. Über eine Stunde fliegen wir schon über die weite Ebene, als sich unter uns die ersten Berggipfel zaghaft erheben. Je weiter wir in die Mackenzie Mts hinein fliegen, umso imposanter und eigenwilliger werden die Bergformationen. Die Morgensonne lässt die lang gezogenen Flanken bis hin zu Gold erstrahlen. Kaum eine Farbe aus der Palette eines Malers fehlt hier. Dazwischen liegen weite grüne Täler, durchzogen mit sich windenden Flüssen. Unberührtes Land das noch nie ein Mensch betreten hat. Nach 2½ Stunden Flug türmen sich rechts und links der Cessna senkrechte, aalglatte Felswände in den stahlblauen Himmel auf – „the Unclimbables“ ge-nannt. Eine der letzten Herausforderungen für einen Sportkletterer. Vor dieser Kulisse landen wir am Ufer des Glacier Lake. Bei der nächsten Landung hören wir schon beim Verlassen der Maschine ein gewaltiges Rauschen. Ein kurzer Fussmarsch bringt uns dahin, wo die Wasser des South Nahanni Rivers in die Tiefe stürzen. Die Virginia Falls, zweimal so hoch wie die Niagara Falls und einst eine der grössten Herausforderungen flussaufwärts fahrender Goldgräber. Mit seinen gewaltigen Cayons ist der Nahanni River ein Schlauchboot- und Kanuparadies. Nach weiteren 2 Stunden Flug über unzählige namenlose Bergketten mit fast ausnahmslos flach gedrückten Gipfeln, dem Ram Plateau, landen wir für unser Open Air Abendessen auf dem Little Doctor Lake. Bei 24° setze ich meine Fussspuren in den warmen Sand, zwischen Bären- und Wolfsspuren.
Yelloknife, die Hauptstadt der NWT zählt 18'000 Einwohner, die Hälfte der ganzen Bevölkerung der NWT. Farbenfrohe Häuser, wunderbare Künstlergalerien, ein eigenwilliges Parlamentsgebäude, schiefe Hausboote, eine gerade mal hundertjähriges Altstadtviertel – eine Stadt mit der Infrastruktur einer grösseren Stadt und der Gastlichkeit eines kleinen Ortes. Und da ist noch das blühende Geschäft mit den Diamanten, nach denen draussen in der Wildnis, wo keiner mehr etwas vermutet, geschürft wird. Wir sitzen wieder in einem Wasserflugzeug um einige Lodges zu besuchen. Berge sind hier ein Fremdwort – der höchste Hügel ist 50 Meter hoch. Durch die Windschutzscheibe schaue ich ins Grenzenlose. Ich weiss nicht wo der Horizont anfängt und ob ich da, ganz hinten über oder unter den Wolken durchblicke. Ist es das Blau des Himmels oder eines Sees? Es ist meine Fata Morgana des Nordens und ich begreife, dass hier oben nicht alles eine Erklärung hat.
Mit seinen 45.000qkm ist der Wood Buffalo Nationalpark der zweitgrösste Park der Welt. Ein Paradies für Naturliebhaber mit frei lebenden Bisons, Wasservögeln, Elchen, Luchsen, Wölfen und Schwarzbären. Auf Schusters Rappen entdecken wir hier im wahrsten Sinne des Wortes Wunder der Natur. Und das vibrieren der Erde, wenn sich eine Bisonherde in Bewegung setzt, bleibt unvergesslich.
Von den Highways, die uns die NWT erschliessen, ist der Demspter Hyw der beeindruckendste. Vor allem ende August/anfangs September verwandeln sich seine weiten Landschaften in ein Meer von Farben. Während die Gipfel der Berge weiss gepudert dastehen, lässt der kurze „Indian Summer“ die Tundra in ihren intensivsten Farben leuchten. Am Ende dieses Hyw begrüsst uns das Eskimodorf Inuvik, dessen „Festival of Northern Art“ im Juli der kulturelle Höhepunkt unter der Mitternachtssonne bietet. Ein Ausflug mit einem Kleinflugzeug von Inuvik nach Tuktoyaktuk ist ein Muss. Schliesslich kann nicht jeder zuhause von begrünten Eisbergen und einem Fussbad im Polarmeer erzählen.